Schneeflocken-Symphonie, Predigt zu Röm 12, 9-16, Pastor Ralf Reuter

Sun, 19 Jan 2025 11:58:58 +0000 von Heidrun Oehler

Wie Schneeflocken geflogen kommen die guten Worte aus dem Himmel. Botschaften der Liebe sind sie, in zarten, zu Kristallen gefrorenen Wassertropfen. Die Liebe sei ohne Falsch, so weiß und schön fallen sie auf die Erde. Lange schauen wir ihnen zu. Über Wald und Feld tanzen sie, bevölkern Städte, bedecken Dörfer, küssen Bäume und Häuser.

Einzelne Flocken sind zu sehen, hasst das Böse, hängt dem Guten an. Sätze, Anregungen, Impulse aus der Liebe, sie setzen sich auf die Spitzen der Kirchtürme, auf Gemeindehäuser wie auf Unternehmen und Betriebe. Mahnen uns, untereinander herzlich zu sein. Gar Respekt fordern sie uns ab. Wunderschön bedecken sie die Welt.

Vielleicht beginnt alle Moral, alles Handeln mit dem Blick auf göttliche Worte. Gutes tun fängt mit dem Staunen an, ist erst einmal nur ein flirrendes Schneegestöber der Liebe aus dem Himmel. Das sich ausbreitet auf unsere nicht in den Griff zu bekommende Welt, auf Kriege, Katastrophen, menschliche Abgründe, auf harte, gefrorene Herzen.

Der Filmemacher Simon Verhoeven sagt: „Wenn wir uns alle ein bisschen mehr als verwirrte, oft verlorene Wesen sehen würden, hier auf diesem kleinen Planeten im Nirgendwo des Alls versuchen, das Richtige zu tun und gleichzeitig irgendwie über die Runden zu kommen, hätten wir sicher einen zärtlicheren Blick auf uns alle.“ (Interview mit Anke Schipp)

Das richtige Tun, Moral, Ethik, Verhalten, lange habe ich nachgedacht über die Worte des Paulus an die Gemeinde in Rom. Er hat das öfter so gemacht, hat Ratschläge und Ermahnungen in den Schlussteil seiner Briefe gepackt. Doch wie können sie heute noch verstanden werden? Wer hört denn da noch hin? Zu verwirrend, zu belehrend kommen sie daher.

Der Wintereinbruch hat mich gerettet. Die tanzenden Schneeflocken, zuerst verwirrten sie mich wie Hans Castorp im Zauberberg. Geträumt, aufgewacht, elementarer, zärtlicher wurde der Blick. Leben auf Zeit, im Rhythmus der Jahreszeiten, das Richtige tun, über die Runden kommen, die Worte der Bibel, sie können helfen.

Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden, uns anderen hingeben, mit Empathie, mit Takt, nie übergriffig, sondern zuhörend, Anteil nehmend, so beginnt doch alles Miteinander auf der Erde. So muss es immer wieder eingeübt werden, an und in uns selber, leiblich, geistlich. So strahlt es dann aus auf Gemeinde, auf die Welt.

Die Liebe als Hingabe, als lebendiger Gottesdienst im Alltag, wo sind die Beispiele? Die wichtigen 90 Sekunden Small Talk an der Kasse des Supermarktes, der Handdruck beim Rausgehen aus der Kirche, das Abholen von Senioren zum Kaffee im Gemeindehaus. Noch mehr, die Stufen der Entwicklung von Kindern, von Partnern spüren, miterleben.

Weich werden und klar, und von niemandem und nichts sich irritieren lassen, vielleicht kann ich es so sagen. Das meint dann ein Bleiben in der Liebe Gottes, im Auftrag der Nachfolge dieses Jesus von Nazareth, der einst zu Fuß über diese Erde ging, in Galiläa. So geerdet, so runterkommen und ganz unten gehen, haltet euch zu den niedrigen Dingen.

Sich selber nicht für klug halten bedeutet hier, sich einfangen lassen vom Geist Gottes. Der immer wieder wie ein Schneegestöber vom Himmel kommt und alle Selbstbezogenheit verwirrt. Der uns trifft und auftaut, erwärmt, von der Trägheit des Sichgenügens befreit. Reden, diskutieren, beteiligen wir, machen uns mit anderen auf den Weg.

Klar, fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet, dieser alte Tauf- und Konfirmationsspruch, er ist Kompass für gute und schlimme Tage. Wo nichts mehr zu sehen ist, hilft das Gebet, dieses mit dem Himmel verbunden bleiben. Und im Überschwung der eigenen Erfolge hält einen dieses Band in der Balance von Maß und Mitte.

Dies, so glaube ich, brauchen wir dringend in unseren Kirchen mit ihren Abbrüchen von liebgewordenen Traditionen. Nach all dem Schimpfen und Klagen kommen uns neue Schneeflocken geflogen. Setzen sich auf ganz andere Projekte und Vorhaben eines neuen Gemeindelebens. Tauen sie auf, bringen das Feuer der Liebe zum Brennen.

Unzählige Krippenspiele haben unsere Aktiven an Weihnachten ganz ohne Pfarramt auf die Beine gestellt. Haben die Kirchen im Priestertum aller Glaubenden gefüllt. Ähnliches gilt für Kindergottesdienste und Jugendgruppen. Sich einfach in das Schneegestöber stellen, einweichen lassen vom lebendigen Wort, aktiv werden, es gibt Chancen, überall.

Dieser Geist, der vom Himmel kommt, er weitet sich aus wie eine göttliche Schneelandschaft über die ganze Erde. Befeuchtet und befruchtet Menschen, Landschaften, Tiere, die ganze Vegetation. Im Weiß der Schneeflocken entdecken wir die Botschaft des Friedens. Haltet Frieden, so weit es an euch liegt, habt mit allen Menschen ein Auskommen.

Natürlich quälen in diesen Tagen die weitergehenden Angriffe auf die Ukraine, dieses nie aufhörende Leiden im Nahen Osten, und die Furcht vor autoritären Regimen. Doch die Rache ist mein, spricht Gott. Wie gut, wie hilfreich ist das! Es bremst ein vor der eigenen Gewalt, der Resignation, lässt uns festhalten an der für alle geltenden Menschenwürde.

Weltweit und zugleich vor Ort, selbst in die Gründung von Familien hinein wehen die himmlischen Schneeflocken. Welch eine wunderbare Geschichte von Jesus auf der Hochzeit zu Kana. Das Wandeln von Wasser zu Wein, ich deute sie als geistliche Stärkung, als Teilhabe des Lebens am göttlichen Himmel. Helft den Familien, bringt sie über den Berg.

Ob uns diese Worte und Geschichten heute wieder geglaubt werden? Ja, wenn wir von ihnen zeugen, ihnen selber vertrauen in unserer eigenen Existenz als Christenmenschen. Nie allein, immer mit der Wolke der Zeugen vergangener Generationen, und vor allem mit denen, die Gott uns auf Zeit an die Seite gestellt hat, die mit uns unterwegs sind.

Dazu wünsche ich mir, dass wir immer wieder einschneien, runterkommen, uns besinnen. Um zu sehen, zu erleben, dabei zu sein, wenn Worte aus der Bibel angeflogen kommen wie Schneeflocken. Mit ihnen werden wir verwandelt, in die Zukunft gesandt. Sie tanzen zu sehen ist wunderbar, ihre Botschaft zu hören, eine ganze Schneeflocken-Symphonie.
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